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Karriere bei Sexualstraftaten

Die Frage, die hier untersucht werden soll, ist die einer möglichen Täterkarriere bei Sexualstraftaten. Damit ist gemeint, daß ein Straftäter mit harmlosen exhibitionistischen Taten beginnt, um dann später immer schwerere und gewalttätigere Sexualstraftaten bis hin zum Sexualmord zu begehen.

Dies ist nach vielen Untersuchungen eindeutig nicht der Fall. Wenn Sexualstraftäter rückfällig werden, dann in ihrer eigenen Kategorie: Exhibitionisten bleiben Exhibitionisten, Pädophile bleiben Pädophile.

Sexuelle Gewalttäter haben früher eher andere Gewalttaten begangen als gewaltfreie Sexualstraftaten.

Kinsey 1953 S. 118 f., zitiert nach Baurmann 1983, S. 100 f.

In diesem Kinsey-Report wird im Zusammenhang mit der Art der strafbaren Sexualkontakte von dem die Frauen berichtet hatten, bereits 1953 darauf hingewiesen, daß der übliche Sexualtäter nicht dazu neige, sich von einer harmloseren zu einer schwerwiegenderen Handlung zu "steigern":

"Unsere Daten berechtigen uns jedenfalls nicht zu der Annahme, daß eine hoher Prozentsatz dieser Männer spezifisch sexuelle Berührungen gesucht hatte. Man kann sogar eher annehmen, daß nur ein äußerst geringer Prozentsatz der Exhibitionisten dem Mädchen irgendeinen körperlichen Schaden zugefügt haben würde. In den Kriminalakten befinden sich nur wenige Fälle von Notzuchtverbrechern, die als Exhibitionisten begonnen haben." (S. 119)

"Daß ein Sexualverbrecher selten von kleineren zu größeren Straftaten übergeht, wird auch bestätigt von:

Aus: Baurmann 1983, S. 303

Ernstzunehmende Wissenschaftler weisen immer wieder nach, daß es die kriminelle Karriere vom Exhibitionisten zum Vergewaltiger in der Regel nicht gibt. [...] Von einem Schläger oder Räuber und von verdeckt aggressiv agierenden Menschen ist viel eher eine Vergewaltigung zu erwarten als von einem Exhibitionisten oder Pädophilen. So stellten auch Berner, Grünberger und Sluga bei einer Untersuchung zur Rückfälligkeit von Sexualstraftätern fest, daß Exhibitionisten, Homosexuelle und Pädophile jeweils vorwiegend in ihren Deliktsbereichen rückfällig werden, während Vergewaltiger und Gewalttäter vorwiegend wechselweise in den Bereichen Raub, Körperverletzung und Vergewaltigung bzw. Nötigung rückfällig werden.

Aus: Baurmann 1983, S. 304f

Unterteilt man die Tatverdächtigen in die beiden Gruppen "zeigte drohendes oder gewalttätiges Verhalten" und "zeigte sonstiges Verhalten", dann kann man aufgrund der Vorstrafen wegen Sexualdelikten überhaupt keine Vorhersage mehr machen. Das heißt, sexuelle Gewalttäter fallen nicht auf wegen ihrer Vorstrafen im Bereich des Sexualstrafrechts. Umgekehrt bedeutet dieses Ergebnis, daß anhand der Vorstrafen wegen Sexualstraftaten nicht die gewalttätigen Sexualtäter aus der Gesamtgruppe aller Sexualtäter "herausgefiltert" werden können. Die Annahme von der sexualkriminellen Karriere (Exhibitionist -> Homosexuelle/Pädophile -> Vergewaltiger -> Sexualmörder) ist ganz offensichtlich falsch. Die "Karrieren" des Exhibitionisten und der meisten Pädophilen sehen offensichtlich so aus, daß die Angehörigen dieser Gruppen im Laufe ihres Lebens immer wieder in ihrem Bereich in Erscheinung treten.

Für die Tatverdächtigen aus Niedersachsen wurden die Daten aber nicht nur nach dem Kriterium "Vorstrafen wegen Sexualdelikten", sondern auch nach dem Kriterium "allgemein vorbestraft" ausgewertet. [...] Zieht man die Fälle heran, bei denen die Tatverdächtigen drohendes oder gewalttätiges Sexualverhalten vorgeworfen wurde, dann waren sogar 23% von ihnen allgemein vorbestraft, während bei den gewaltlosen Sexualdelikten nur 16% allgemein vorbestraft waren.

Trotz der Schwächen [...] - wobei eine sorgfältige Spezialuntersuchung hierzu wahrscheinlich noch deutlichere Ergebnisse in die aufgezeigte Richtung liefern dürfte - bestätigt das vorliegende Material [...]: Die gewaltlosen Sexualtäter, wie Exhibitionisten und Pädophile, sind oft so stark auf ihre sexuelle Befriedigungsform fixiert, daß sie immer wieder mit diesem Verhalten auffällig werden. Die gewalttätigen Sexualtäter hingegen gehören einer Gruppe an, die eher in verschiedenen Kommunikationsbereichen gewalttätig agiert. So ist es gar nicht erstaunlich, wenn ein Räuber auch als Schläger, (Kindes-)Mißhandler oder Vergewaltiger auffällig wird. [...] Es gibt deutlich voneinander unterscheidbare gewaltlose und gewalttätige Sexualdelikte.

Dies sollte ganz erheblich Auswirkungen auf die kriminalpolizeiliche Praxis haben. Ein bisher unbekannter und zu ermittelnder Vergewaltiger ist nicht so sehr in einer allgemeinen Datei von Sexualtätern zu suchen, sondern eher unter den früher gewalttätig auffällig gewordenen Delinquenten.