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Folgen einvernehmlicher Kontakte

Nach der nachgewiesenermaßen falschen Behauptung, es gäbe einvernehmliche Kontakte überhaupt nicht oder nur so selten, dass man solche Ausnahmen nicht zu berücksichtigen braucht, ist die Behauptung, auch einvernehmliche Kontakte wären schädlich, eines der häufigsten Argumente gegen solche Kontakte. Die Untersuchungen, in denen einvernehmliche Beziehungen nicht mit Vergewaltigungen vermengt, sondern separat untersucht werden, zeigen jedoch keine solchen Schäden. Im Gegenteil, die Resultate sind eher positiv. Allerdings gibt es nur wenige solcher Untersuchungen: Sandfort 1994, Bernard 1988 und Baurmann 1983.

Bekannt sind weiterhin einige Kulturen, in denen alle Kinder an solchen Kontakten teilnehmen, weil dies in diesen Kulturen als gesund bzw. gar notwendig für eine gesunde Entwicklung betrachtet wird. In solchen Kulturen müßten Schäden eigentlich auffallen.

Besteht Forschungsbedarf?

Aufgrund der relativ geringen Anzahl von Untersuchungen, in denen einvernehmliche Kontakte separat untersucht werden, könnte man argumentieren, dass auf diesem Gebiet noch Forschungsbedarf besteht, und solange nicht ausreichend Material vorliegt, im Interesse der Sicherheit der Kinder von der Schädlichkeit auch einvernehmlicher Kontakte ausgegangen werden sollte.

Vom Standpunkt der wissenschaftlichen Methodologie ist dies jedoch absurd. Diese schreibt vor, dass bis zum Beweis des Gegenteils die einfachste Hypothese vorzuziehen ist. Und die einfachste Hypothese ist eindeutig die, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen in dieser Frage gibt - einvernehmlicher Sex ist für beide etwas positives, während Vergewaltigung für beide schädlich ist.

Außerdem können wir sehr wohl davon ausgehen, dass es viele Untersuchungen gibt, die eine Menge Informationen über einvernehmliche Kontakte liefern. Eine Untersuchung, die keine statistisch signifikanten Ergebnisse liefert, wird aber normalerweise mit weitaus geringerer Wahrscheinlichkeit publiziert und eher in einem Aktenordner enden. Zu diesem allgemein als "file drawer effect" bekannten Mechanismus kommt ein politisches Interesse hinzu - eine Arbeit, deren Ergebnisse nicht zur vorherrschenden politischen Meinung passen, schadet durchaus der wissenschaftlichen Karriere. Nimmt man also an, es gäbe keine Schäden bei einvernehmlichen Kontakten, dann ist die augenblickliche Situation durchaus verständlich.

Nimmt man jedoch an, es gäbe Schäden, dann ist schwer verständlich, wieso sie noch nicht nachgewiesen sein sollten. Man könnte annehmen, die Forscher würden auf diesem Gebiet nicht forschen, weil sie von vornherein fälschlicherweise annehmen, es gäbe solche Schäden nicht. Oder man könnte annehmen, sie würden die Wichtigkeit dieser Frage nicht erkennen. In beiden Fällen würde man ihnen damit Unfähigkeit unterstellen.

Was kann man aus den Ergebnissen der Wissenschaft zum Mißbrauch folgern?

Neben dieser eher indirekten Argumentation, bei der der Umfang der signifikanten Ergebnisse zu Schäden bei sexueller Gewalt an Kindern dem faktischen Fehlen von Ergebnissen zu Schäden bei einvernehmlichen Kontakten gegenübergestellt wird, kann man der Fachliteratur zum sexuellen Mißbrauch jedoch eine Menge weiterer indirekter Informationen entnehmen, die gegen die These von der Schädlichkeit einvernehmlicher Kontakte sprechen.

Die folgenden Beobachtungen hat der Autor dieser Seiten aus der Betrachtung vor allem der englischen Fachliteratur zu diesem Thema gewonnen.

Rolle von Gewaltanwendung

Manche, leider viel zu wenige, Untersuchungen betrachten auch den Einfluß der Anwendung von Gewalt auf die Schäden. Diese Untersuchungen zeigen, wie zu erwarten, dass bei Anwendung von Gewalt die Schäden größer werden. Bei Moggi 1994 ist beispielsweise der "Zugang des Täters" die Variable, die den größten Einfluß auf den Schaden hat.

Vergleichbarkeit der Schäden sexueller und physischer Gewalt

Bei fast allen der üblicherweise erwähnten psychischen Schäden finden sich entsprechende Schäden auch bei physischer Gewalt. Dies ist ein starkes Indiz für die Annahme, dass diese Schäden durch eine gemeinsame Ursache ausgelöst werden - unerwünschte, traumatische Erlebnisse. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Studie von Richter-Appelt 1994.

Hohe Komorbidität

Nimmt man an, daß auch einvernehmliche Kontakte schädlich sind, so ist zu erwarten, dass die Schadensmechanismen und demzufolge die Schäden bei sexueller Gewalt und bei einvernehmlichen Kontakten verschieden sind. So würde man bei Vergewaltigung eher Angst und Trauma erwarten, bei einvernehmlichen Kontakten eher Schuldgefühle. Es wäre daher zu erwarten, dass man an der Art der Schädigung Rückschlüsse auf die Art des Kontakts ziehen kann, und verschiedene Schäden nicht allzu oft gemeinsam auftreten.

Nimmt man hingegen sexuelle Gewalt als wesentliche Ursache an, wird man in viel stärkerem Maße erwarten, daß verschiedene der möglichen Schäden bei ein und demselben Opfer auftreten. Dies bedeutet in der Fachsprache, daß eine hohe Komorbidität zu erwarten ist.

Viele Untersuchungen zeigen in der Tat eine hohe Komorbidität der verschiedenen untersuchten Schäden. Dies spricht für eine gemeinsame Ursache, die sich je nach Konstitution in verschiedenen Folgen äußert.

Diskussion

Obwohl nur wenige Untersuchungen vorliegen, die die Schädlichkeit einvernehmlicher Kontakte direkt untersuchen, gibt der Überblick über die Fachliteratur zum Thema sexueller Mißbrauch eine Menge indirekter Hinweise zu dieser Frage. Wir folgern, daß man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen kann, daß es sich bei den Schäden aus einvernehmlichen Kontakten um einen Mythos handelt, vergleichbar mit dem Mythos von der Schädlichkeit der Onanie.

Die Diskussion der Schädlichkeit ist leider dadurch ziemlich irrational geworden, daß die empirische Frage nach den Folgen solcher Handlungen mit der moralischen Frage ihrer Bewertung vermengt wurde. Dies ist jedoch völlig unangebracht. Wenn jemand einvernehmliche sexuelle Handlungen, warum auch immer, moralisch auf eine Stufe mit Vergewaltigung stellt, ändert dies nichts daran, dass ein vergewaltigtes Kind etwas ganz anderes durchlebt als ein Kind in einer einvernehmlichen Beziehung. Und selbst wenn beide Kinder geschädigt werden, so werden die Mechanismen der Schädigung und somit auch Art und Ausmaß der Schäden höchstwahrscheinlich völlig verschieden sein.