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Schorsch

Wenn Männer Angst vor Frauen haben

Interview im Stern 31 (1987)

auch in: Leopardi 1988

Stern: Herr Professor Schorsch, für wen wird Kinderpornographie hergestellt, wer sind die potentiellen Abnehmer solcher Schriften, Fotos und Filme?

Schorsch: Kinderpornographie richtet sich fast ausschließlich an den Kreis der Pädophilen, das sind Menschen, für die nur Kinder als sexuelle Partner in Frage kommen.

Stern: Können auch Menschen, die vorher keine pädophilen Neigungen hatten, durch Kinderpornographie zum sexuellen Umgang mit Kindern angereizt werden?

Schorsch: Ich halte die "Ansteckungsgefahr" für äußerst gering. Kinderpornographie wird für eine nicht benennbare Zahl von Menschen gemacht, die pädohile Wünsche haben. Von denen wird sie gekauft, bei denen wird sie abgesetzt. Für Menschen, die solche Tendenzen nicht haben, ist solche Pornographie nicht reizvoll und auch kein Verführungsobjekt. Von einer "Einstiegsdroge" kann man sicherlich nicht sprechen. Der Kreis der Pädophilen wird durch die Existenz von Kinderpornographie nicht vergrößert, jedenfalls nicht wesentlich.

Stern: Wie kommt es zur Pädophilie? Welche psychischen Dispositionen, welche frühkindlichen Prägungen sind dafür ausschlaggebend?

Schorsch: Das läßt sich in diesem Rahmen nur sehr pauschal beantworten. Ein Aspekt, der zur Pädophilie führt, sind starke Unzulänglichkeitsgefühle in Bezug auf die eigene Männlichkeit. Solche Männer sind der Konfrontation mit einer erwachsenen Frau oft nicht gewachsen. Sie fühlen sich beim Kontakt mit dem anderen Geschlecht nur sicher und stark, wenn ihnen die Frau in Gestalt eines Kindes begegnet.

Zum anderen handelt es sich häufig um Männer, die auf Grund einer hochkomplexen Problematik dazu neigen, sich sehr stark mit Kindern zu identifizieren. Sie wiederholen sozusagen ein Stück der eigenen Kindheit in der Beziehung zum Kind. Bei vielen anderen spielen fürsorgliche Aspekte eine große Rolle. Sie stellen gewissermaßen die eigene Eltern-Kind-Situation regressiv wieder her und wiederholen nun Dinge oder inszenieren sie, die für die Bewältigung ihrer eigenen Probleme, ihrer Geschichte, von Bedeutung sind. Das ist ein sehr häufiger Aspekt, den man bei Pädophilen findet.

Stern: Kommt Pädophilie denn in erster Linie bei Männern vor?

Schorsch: Ja []

Stern: Gibt es Pädophile, die sich mit Pornographie begnügen und auf den direkten sexuellen Umgang mit Kindern verzichten?

Schorsch: Die gibt es sicherlich, ja. Es gibt Männer, die pädophile Wünsche haben, aber zugleich starke Barrieren, so etwas in der Realität auch wirklich zu tun. Die begnügen sich mit Pornographie, verlagern ihre Wünsche sozusagen in die Phantasie und reagieren sie dort ab. Insofern hat solche Pornographie für viele sicher auch eine Entlastungsfunktion.

Stern: Wie schätzen sie die Gefahren für die Kinder ein, die zur Herstellung pornographischer Fotos und Filme benutzt werden?

Schorsch: Auch bei unagressiven sexuellen Kontakten lassen sich negative Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes nicht ausschließen. Ich finde es in jedem Fall problematisch, wenn Kinder in sehr frühem Alter lernen, daß Sexualität im weitesten Sinne benutzt werden kann, zum Beispiel, um materielle oder andere Zuwendung zu erreichen. Das halte ich für eine hochbedenkliche Erfahrung für die Kinder. Das sollte man nicht verharmlosen. Wie Kinder im einzelnen solche Erfahrungen verarbeiten, hängt sicherlich davon ab, in welcher Umgebung sie leben und welche Auffangmöglichkeiten diese Umgebung ihnen bietet.

Stern:[] Selbstmorde bei Pädophilen kommen relativ häufig vor. Woran liegt das?

Schorsch: Suizidgefährdet sind meinst solche Männer, die ihre pädophilen Tendenzen stark ablehnen und sehr konfliktreich erleben. Wenn ihre Neigung dann entdeckt wird, also aus der Heimlichkeit herauskommt, können sich bei solchen Männern so starke Schuldgefühle und ein solcher Selbsthaß entwickeln, daß sie im Selbstmord den einzigen Ausweg sehen.

Stern: Läßt sich Pädophilie therapieren? Ist es überhaupt angezeigt, sie therapeutisch anzugehen?

Schorsch: Das läßt sich nicht generell beantworten. Symptombildungen wie Pädopohilie haben wie gesagt eine kompensatorische Funktion: Sie sollen innere Schwierigkeiten und Brüche in der männlichen Entwicklung ausgleichen. Bei manchen Menschen funktioniert dies tatsächlich in dieser Weise, d.h. sie akzeptieren ihre sexuelle Orientierung, stehen dazu vor sich und anderen und leiden nicht darunter. Das sind die sogenannten Überzeugungspädophilen. Hier fehlen natürlich die Voraussetzungen für eine Therapie. Sehr häufig erleben aber Männer ihre pädophilen Neigungen als äußerst problematisch und können sie nicht mit ihrem Wertsystem und ihrem Selbstbild in Einklang bringen. Sie leiden darunter, daß sie sich immer wieder zu Kindern hingezogen fühlen oder zwanghaft entsprechende Situationen aufsuchen müssen. Hier ist eine Therapie angezeigt und sicherlich auch erfolgversprechend. Das Ziel wäre in diesen Fällen, die pädophile Symptombildung aufzulösen und andere Möglichkeiten zu finden, mit den zu Grunde liegenden Schwierigkeiten zurechtzukommen.