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3. Vorschlag: Disparität der Wünsche

aus: Schetsche, Zur Problematik der Begründung des sexualstrafrechtlichen Schutzes von Kindern und Jugendlichen, MschrKrim 77:4, 1994, 3. Problematisches, pp.208-210

Als Grund für die Ablehnung wird hier - im Anschluß an einen Vortrag von Sandor Ferenczi aus dem Jahre 1932 - die sich in einer "Sprachverwirrung" zwischen Erwachsenem und Kind niederschlagende "Disparität der Wünsche" (Dannecker, 1987) angeführt. Die zentrale Differenz zwischen Erwachsenem und Kind besteht hier nicht in unterschiedlichen Machtressourcen oder Interaktionskompetenzen, sondern in der "Ungleichzeitigkeit" bei der Entwicklung ihrer Sexualorganisation:

"Zwar sind alle pädosexuellen Kontakte von einer prinzipiellen Ungleichzeitigkeit gekennzeichnet. Diese entstehen aber nicht durch das Gefälle in der Fähigkeit, verantwortungsbewußt zu handeln, diese Ungleichzeitigkeit wird vielmehr durch die sexuelle Entwicklung konstituiert." (Dannecker, 1987, S. 82; entspr. Schorsch, 1989, S. 146)

Entscheidend für die Ablehnung der Kontakte ist,

"daß der eine Partner (das Kind) sich diesseits der Pubertät und der andere (der Erwachsene) sich jenseits der Pubertät befindet." (Dannecker, 1987, S. 83

Die betreffenden Erwachsenen "verwechseln die Spielereien der Kinder mit den Wünschen einer sexuell reifen Person ..." (Ferenczi, 1964, S. 518)

[...] Auch nach dem driten Lösungsmodell sind Beziehungen zwischen Erwachsenem und Kind durch ein "quantitativ höheres Maß an struktureller Gewalt" (Dannecker 1987, S. 88) gekennzeichnet, bei ihnen gibt es kaum eine Möglichkeit der "reziproken Bedürfnisbefriedigung", und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes wird ständig verletzt.

"Gemessen an der Wirklichkeit anderer Sexualitäten sind das jedoch nur quantitative Differenzen. Auch in der Ehe wird das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht selten in rüder Weise verletzt. Ebenso wird auch innerhalb unverdächtiger sexueller Begebenheiten die Reziprozität der sexuellen Bedürfnisbefriedigung oft nicht erreicht, mitunter von einem Partner nicht einmal intendiert." (Dannecker 1987, S. 88)

[...]

"Das Strafrecht dürfte aber kaum das geeignete Instrument sein, um Idealforderungen dieser Art durchzusetzen. Die unqualifizierte Pönalisierung der Pädosexualität ist gleichfalls ein ungeeignetes Instrument zur Verbesserung des Binnenklimas in pädosexuellen Begegnungen oder Beziehungen." (Dannecker 1987, S. 88-89; entspr. Schorsch, 1989, S. 146)

[...]

So einleuchtend die psychoanalytische Argumentation zunächst auch erscheinen mag, hat sie bei näherer Betrachtung doch mit dem Handicap zu kämpfen, daß die Analyse Ferenczis, von der die Vertreter dieser Lösung stets ausgehen, sich explizit auf "inzestuöse Verführungen" (Ferenczi, 1964, S. 518) bezieht. [...] Er beschreibt also die Abläufe und Folgen sexueller Interaktionen in einem inzestuösen Autoritätsverhältnis (vgl. Gast, 1993, S. 37). [...] Nicht beantwortet ist damit die Frage nach der Beurteilung sog. einvernehmlicher Kontakte von Kindern zu Fremden oder nur oberflächlich Bekannten. Besonders bei älteren Kindern, die schon - im Sinne ihrer Alltagsgestaltung - eine partielle Ablösung vom Elternhaus erfahren haben und sich bereits in der Phase der "Konstituierung sexueller Objekte" (Dannecker) befinden, stellt sich die psycho-sexuelle Situation deutlich anders dar, als sie in den sich auf Ferenczi berufenden Beiträgen geschildert wird.

[...]


siehe auch weitere Diskussionen.