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Powell R.A., Boer D.P.

Did Freud Mislead Patients to Confabulate Memories of Abuse?

Psychological Reports, 74, p. 1283-1298 (1994)

aus: Nuber 1995, S. 63-65

Den Anhängern der Trauma-Theorie wird sicher nicht gefallen, was die kanadischen Sozialwissenschaftler Russel A. Powell und Duglas P. Boer in einer Analyse der Freudschen Schriften zutage gefördert haben. "Verleitete Freud seine Patienten dazu, Erinnerungen an sexuellen Mißbrauch zu erfinden?" fragen sie in einem Fachartikel und kommen zu dem Schluß: Freud setze "häufig hoch suggestive Techniken ein, um seinen Patienten Erinnerungen an sexuellen Mißbrauch in der Kindheit zu entlocken."

Die beiden Sozialwissenschaftler glauben belegen zu können, daß sich Freud dieses Problems bewußt war und daß dies ihn unter anderem zur Korrektur seiner frühen Trauma-Theorie veranlaßt hat. In seinem Vortrag "Zur Ätiologie der Hysterie" stellt er selbst die Frage, "ob es denn nicht sehr wohl möglich sei, daß entweder der Arzt solche Szenen als angebliche Erinnerung dem gefälligen Kranken aufdrängt oder daß der Kranke ihm absichtliche Erfindungen und freie Phantasien vorträgt, die jener für echt annimmt." Allerdings weist Freud diese Möglichkeit sofort zurück.

Powell und Boer dagegen belegen mit diversen Zitaten aus Freuds Arbeiten, daß dieser durchaus suggestive, manipulative Techniken angewandt hat, um seinen Patienten zu den Erinnerungen zu verhelfen, die er erwartete. So sagt er zum Beispiel in seinem bereits erwähnten Vortrag.: "Die Kranken wissen vor Anwendung der Analyse nichts von diesen Szenarien, sie pflegen sich zu empören, wenn man ihnen etwa das Auftauchen derselben ankündigt; sie können nur durch den stärksten Zwang der Behandlung bewogen werden, sich in deren Reproduktion einzulassen ..."

In den Studien über Hysterie beschreibt Freud, wie er normalerweise vorgeht, um traumatische Erinnerungen aufzudecken: "Solche Leistung erfolgt zuerst durch Drängen, Anwendung eines psychischen Zwanges, um die Aufmerksamkeit der Kranken auf die gesuchten Vorstellungsspuren au lenken ..." Was aber, wenn die Patienten trotz dieses "psychischen Zwanges" keine traumatischen Erinnerungen produzieren wollen und behaupten, es falle ihnen einfach nichts ein? "Man darf ihnen das nicht glauben", sagt Freud, "man muß dann immer annehmen und auch äußern, sie hielten etwas zurück, weil sie es für unwichtig halten oder peinlich empfinden. Man besteht darauf, man wiederholt den Druck, man stellt sich unfehlbar, bis man wirklich etwas zu hören bekommt."

Für Powell und Boer sind Aussagen wie diese ein untrügliches Zeichen dafür, daß Freud seinen Patienten offensichtlich einschlägige Erinnerungen abverlangt hat und von ihnen erwartete, daß sie diese Erinnerungen auch als wahr betrachteten. Dieses Verhalten stellt das klinische Material, das Freud in dieser Zeit sammelte, sehr in Frage, wie die beiden Sozialwissenschaftler meinen. Sie vermuten, daß Freud sich seines suggestiven Vorgehens bewußt war und daß dies ein Grund für seine Abkehr von der frühen Trauma-Theorie gewesen sein könnte.