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Masters, Johnson, Kolodny

Research spotlight: Is there a Positive Side to Pedophilia?

Human Sexuality, 2. ed., p.450-451 (1985)

Eine Kritik der Arbeit von Theo Sandfort zu pädophilen Beziehungen


Gisela Bleibtreu-Ehrenberg

Sachlich substanzieller (und bemerkenswerterweise darum um die Hälfte kürzer) [als Mrazeks Kritik] ist die zweite negative Kritik, die vorgestellt werden soll. Sie stammt vom bekannten Autorengespann Masters/Johnson und beginnt mit der Bemerkung, daß die Sandfortsche Studie "viel zu wünschen übrig lasse". Anschließend wird ohne Umschweife dargelegt, was die Autoren zu bemängeln haben, und ich werde Ihnen diese Kritik im folgenden referieren und gleichzeitig kommentieren.

Erstens: Die Untersuchungsgruppe, heißt es, sei nicht representativ. Denn diejenigen, welche die Interview-Paare auswählten, hätten sich offensichtlich bewußt "bessere" Paarbeziehungen ausgesucht. Was "besser" hier heiße? wird gefragt, dann kommt die befremdliche Antwort: Möglicherweise seien das gerade solche Beziehungen gewesen, in denen die Jungen von den Päderasten schon so "eingeschüchtert" gewesen seien, daß die Angst gehabt hätten, irgendwas gegen diese zu äußern. Ferner habe Sandfort nie definiert, was "negative Einflüsse" in dem Zusammenhang eigentlich bedeuten solle, und er habe auch keine angemessenen Fragen danach gestellt, ob solche negativen Einflüsse vorhanden seien oder nicht.

Kommentar: Der Leser kann sich leicht selbst ein Urteil bilden, daß das bekannte Autorenpaar in diesen Punkten vollinhaltlich irrt bzw. die Studie nur höchst großzügig durchblättert hat. Entsprechende Fragen sind in Sandforts Konzept sehr wohl vorhanden, und angemessen sind sie auch. Zur Auswahl der untersuchten Partner hat er sich gleichfalls eindeutig geäußert.

Zweitens: Ganz gegen das übliche Verfahren bei Untersuchungen der Art seien vorher mit den Jungen keine psychologischen Tests gemacht worden, um deren emotionale Stabilität festzustellen; keinerlei Anstrengungen seien gemacht worden, in die Schulnoten der Betreffenden Einblick zu nehmen.

Kommentar: Tatsache ist, daß diese Zusatzinformationen nicht eingeholt wurden. Nicht stimmt, daß solche prinzipiell bei vergleichbaren Befragungen vorhanden sein müssen, um die Resultate als valide erscheinen zu lassen. Die Frage nach den Schulnoten scheint mir in dem Zusammenhang recht gesucht: ich persönlich habe nie im Leben pädophile Beziehungen gehabt, doch meine Schulnoten waren bis zum vierzehnten Lebensjahr beklagenswert ...

Drittens: Jeder Junge sei in der Wohnung seines päderastischen Partners und in dessen Anwesenheit befragt worden ohne Rücksicht darauf, daß die Anwesenheit des Erwachsenen den Jungen mit großer Sicherheit davon abgehalten haben müsse, irgendwelche Beschwerden über die Behandlung durch diesen vorzubringen - und zwar aus Angst vor Strafe.

Kommentar: Auch hier sei dem Leser geraten, sich selbst ein Urteil zu bilden. [...] Nichtdestoweniger möchte man Theo Sandfort raten, sich bei ferneren Studien einen neutraleren Ort für das Interview zu wählen, an dem auch der strengste Kritiker nichts auszusetzen finden kann; [...]

Viertens: Es sei keine Folgestudie gemacht worden, um festzustellen, was für langanhaltende Einflüsse diese Beziehungen auf die Entwicklung der betreffenden Jungen genommen hätten.

Kommentar: [...] Sandfort hat nirgends erklärt, eine solche nicht machen zu wollen, vermutlich bereitet er sie derzeit schon vor. Was übrigends mögliche schädliche Spätfolgen einer Beziehung der diskutierten Art angeht, so sei hier auf die bahnbrechende, großangelegte Untersuchung von Michael Baurmann verwiesen, [...]

Fünftens: Nicht mal in äußerlich intakten 25 Ehen, so vermuten die gutbeschlagenen Autoren, pflege wirklich alles in Ordnung zu sein - um wievieles mehr müsse man das dann von solch ungleichen Beziehungen wie den untersuchten vermuten!

Kommentar: Der Vergleich zwischen einer Ehe und einer temporären, nach außen hin zur Geheimhaltung verdammten Beziehung zwischen einem Mann und einem Jungen ist unangebracht (hier soziales Normverhalten, dort tabuisierter Kontakt; hier heterosexuelle, dort gleichgeschlechtliche Sexualität), - außerdem hat Sandfort nicht behauptet, daß die von ihm untersuchten Kontakte völlig problemfrei seien, sondern er geht aufgrund der Untersuchung davon aus, daß es bestimmte Paarbeziehungen zwischen erwachsenen Männern und heranwachsenden Jungen gibt, durch die der betreffende Junge manches Gute erfährt, und zwar in einem recht weitgefaßten Wortsinn. Die Vorstellung, menschliche Beziehungen irgendeiner Art könnten jemals ganz problemfrei sein, ist ohnehin illusionär.

Sechstens: Als sozusagen Herzstück ihrer Kritik kommen die Autoren zu der als "fundamental" charakterisierten Überlegung, wieso Sandforts "unqualifizierter Einsatz" für diese Verbindungen eigentlich die Frage außer Acht lasse, ob eine in sich mißbräuchliche, ausbeuterische Beziehung unter irgendwelchen Umständen überhaupt je "positiv" sein könne?

Kommentar: Hier sieht man quasi unter klinischen Laborbedingungen, wie ein Vorurteil das tut, wovon ich vorhin sprach: nämlich wie es die eigene Analyse mit Brillianz unterläuft. Da nach der unausgesprochen-selbstverständlichen Unterstellung der Autoren jede solche Verbindung eben fraglos sowohl mißbräuchlich als auch ausbeuterisch ist, sollte man sich in der Tat wundern, daß es Leute gibt, die da noch nach was Positivem suchen! Nein, fügen sie dann so ehrlich wie entschieden hinzu, gleichgültig, was andere davon denken mögen, wir sind gegen solche Beziehungen, und zwar egal, ob die eine oder andere Seite behaupten mag, daß positive Einflüsse damit verbunden seien.

Siebstens: Anschließend wird noch einmal der an sich ja absolut akzeptable Gedanke wiederholt, es bedürfe noch sehr viel entschiedenerer Untersuchungen, die auch jahrelange follow-up-studies einschließen müßten, bevor als erwiesen gelten dürfe, daß Pädophilie (gemeint ist Päderastie) für Kinder meistens harmlos oder mögleicherweise sogar wohltuend sei. Abschließend betonen die Autoren, sie seien derselben Ansicht wie Suzanne Sgroi, die ihrerseits glaube, Verbindungen dieser Art seien immer negativ. Und nun folgt der bemerkenswerte Grund für diese Vermutung von Sgroi [...]: "Das sexuell mißbrauchte Kind braucht sich anfangs gar nicht mißbraucht zu fühlen. Doch sobald das Kind merkt, was die Gesellschaft von dem hält, was er(!) getan hat, fühlt das Kind sich betrogen. Er hat das Gefühl, weder Erwachsenen noch Familienmitgleidern trauen zu können und entwickelt einen Sinn für Gefahr, die Angst, verletzt zu werden und das Gefühl, gegenüber vorher entwertet worden zu sein."

Kommentar: Gerade diese Zusammenhänge hat die vorliegende Untersuchung herausgearbeitet, wenngleich nicht so krass formuliert, wie es hier in aller vorurteilshaften Unschuld naiv ausgedrückt wird: Es ist eben nicht die sexuelle unnd soziale Beziehung eine Jungen zu einem älteren Partner, die den jüngeren dazu bringt, sich mißbraucht zu fühlen, sondern ungute Gefühle stellen sich erst ein, sobald er feststellen muß, wie negativ seine Umwelt darauf reagieren würde, wenn es nicht gelänge, die Beziehung geheimzuhalten. Erst dann droht seitens der Umwelt die Gefahr, "als nicht mehr so wertvoll wie vorher zu gelten", dann entwickelt sich die Angst davon, "verletzt zu werden", dann geht das Vertrauen zu Eltern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen (man denke etwa an Lehrer) verloren.

So läßt sich auch in dieser 'Begründung' einer angeblich prinzipiell gegebenen 'Schädigung' gleichsam unter klinisch sterilen Bedingungen zeigen, wie das Vorurteil sich selbst verteidigt und seine Analyse erfolgreich hintertreibt.

[aus dem Vorwort der deutschen Übersetzung von Sandforts Studie, S. 11-14]