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Lautmann R.

Pädophilie - darf es sie geben? Anfragen anläßlich eines Buches

in: Bernard (ed.) Pädophilie ohne Grenzen, Foerster, S. 62-88 (1997)

Wer sind die 'echten Pädophilen'?

Es sind Erwachsene mit einem auf Kinder gerichteten Begehren ('Präferenz'). Die echten Pädophilen lieben ihre kindlichen Partner und Partnerinnen. Sie begehren sie zunächst einmal erotisch. Das Sexuelle kommt eigentlich erst in zweiter Linie.

Unsere These lautet mithin: Das Begehren zum Kind ist eine eigenständige und ausdifferenzierte Sexualform. Das Kindliche als autonomer Gegenstand des sexuellen Wunsches erweist sich auch daran, daß es sich teilweise von der Altersdimension lösen kann, nämlich wenn 'Erwachsene' erotisiert werden, weil und insofern sie kindlich wirken.

Den Skandal macht dann der Gedanke, daß die Sexualform "Pädophilie" sich von den Phänomenen des 'sexuellen Mißbrauch' unterscheidet.

Während das öffentliche Urteil sie für monströs hält, tun sie selber überwiegend Dinge, die in unserer Kultur für den zwischenmenschlichen Umgang üblich sind. Der eine Teil ihres Handlungsrepertoires ist 'normal', nämlich kennzeichnend für sämtliche Intimität; der andere Teil ist 'spezifisch', weist sie als Pädophile i.e.S. aus.

Die Verschiedenheit von Homo- und Jungenpädophilie hat mich selbst überrascht. Ursprünglich hatte ich selbst gedacht, daß die Knabenliebhaber aus schwulen Orientierungen kommen. Zwischen Pädophilie und Homo-/Hetero-Sexualität muß man aber trennen. Jemand, der ein Mädchen liebt, kann ja gerade mit einer Frau nicht. Insoweit ist er nicht heterosexuell, sondern er liebt Mädchen. Und ein Mann, der sich mit Knaben einläßt, wird bei einem erwachsenen Partner oft eher zu einer Frau tendieren als zu einem Mann. Wichtig ist, daß ein erwachsener Partner in der Regel abgelehnt wird.

Zum bisherigen Stand der Forschung

Es war bislang üblich, alle sexuellen Kontakte und Beziehungen, auf die sich ein Erwachsener mit einem Kind einläßt, einheitlich anzusehen: im Strafrecht, in der Sexualmedizin, in der Kindreschutzliteratur. Zwischen ausbeuterischen und liebevollen Beziehungen zu unterscheiden, wird ausdrücklich abgelehnt. Es auch nur als Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß ein angebbarer Teil jener Kontakte das Kind vielleicht nicht schädige, gilt als unseriös. Untersuchungen, die genau dies glauben nachweisen zu können, werden von beinahe sämtlichen Fachzeitschriften nicht zur Veröffentlichung angenommen. Über den moralischen Charakter all dieser Entscheidungen ist man sich durchaus im klaren, sieht aber gleichwohl keinen Forschungsbedarf.

Welche langfristigen Auswirkungen haben sexuelle Erfahrungen, die Kinder mit Erwachsenen machen mußten? Wider Erwarten wirft die Lektüre der Fachliteratur mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Der bloße Altersunterschied und die moralische Mißbilligung solcher Akte machen in vielen Schriften das betroffene Kind zum 'Opfer' (führend: David Finkelhor). Doch bedeutet das nur eine Wortwahl, die Schädigung zwar unterstellt, nicht aber beweist.

[Kirkpatrick 1987]

Viele besonnene WissenschaftlerInnen halten daran fest, Pädophilie im engeren Sinne nicht mit Kindesmißbrauch in ein und denselben theoretischen und politischen Topf zu werfen. Solche differenzierenden Stimmen kommen beispielsweise von Gisela Bleibtreu-Ehrenberg, Kurt Freund, Berl Kutschinsky und Eberhard Schorsch - allesamt mit einem breiten Überblick über sexuelle Phänomene. Für einen 'Eintopf' hingegen stimmen vor allem diejenigen, die ausschließlich Vergewaltigung und Mißbrauch diskutieren (beispielsweise Elisabeth Trube-Becker). Folgerichtig ordnen sie diese Probleme weniger dem Sexuellen, sondern vor allem der patriarchalen Herrschaft zu.

Wo verläuft die Trennlinie zwischen Pädophilie und Kindesmißbrauch?

Die Kriterien hierfür lauten: Freiwilligkeit und Schädigung. Beides ist unabhängig voneinander zu prüfen.

Der Begriff des Kindesmißbrauchs beinhaltet, daß der kleine Mensch geschädigt wird. Diese Schädigung ist bei den Kontakten der echten Pädophilen sehr fraglich. Sie gehen außerordentlich vorsichtig vor, sie erleben viel weniger Sexualität, als gemeinhin angenommen wird. Sie zielen gar nicht unmittelbar auf Sexualität, sondern zunächst auf die erotische Beziehung zu dem Kind. Da verhalten sie sich nicht anders als wir anderen Erwachsenen gegenüber unseren Partnern: Wir begründen eine intime Beziehung, in der auch Sexualität stattfinden kann, wenn der andere Teil einverstanden ist. Dieses Einverständnis wird beim Kind auf eine natürliche Weise hergestellt. Hier allerdings entzünden sich die Debatten, ob Kinder überhaupt in Sexualität einwilligen können.

Können Kinder in diese Sexualität einwilligen?

Nach meinem Eindruck gibt es sowas wie eine natürliche Willensübereinstimmung, die nicht bedeutet, daß beide in dasselbe eingewilligt haben, wohl aber, daß das Kind den zurückgenommenen Formen des pädophilen Wunsches zugestimmt hat und dann mit sich einiges machen läßt, was ihm selber Spaß verschafft. Kinder sind in ihrer sexuellen Entwicklung untereinander womöglich noch verschiedener als die späteren Erwachsenen. Daher mag es 'geeignete Partner' für Pädophile geben, ohne daß wir anderen uns das jemals aus eigener Erfahrung vorstellen könnten.

[Neubauer 1993]