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Lautmann R., Schetsche M.

Reinheit, Volkstum, Manneskraft: Zur Sexualpolitik des Nationalsozialismus

Sozialwissenschaftliche Informationen 24, Heft 1, S. 32-40 (1995)

von M. Schetsche:

Sexualität und Identität stehen erst in modern-westlichen Gesellschaften in innigem Konnex. Vordem ging es der Sexualregulierung bloß um Verwandtenbeziehung und Nachwuchs - für die Erhaltung der Art, als Erben und zur Altersvorsorge etwa. In unserem Jahrhundert suchen zunehmend viele Menschen in ihrer geschlechtlichen Praxis eine Antwort auf die Frage Wer bin ich? Identität bestimmt sich im Viereck von Geschlecht/Generation/Volkszugehörigkeit und Schicht. Wie eine/r sich als Frau oder Mann begreift, was die Geschlechterdifferenz überhaupt ausmacht, das hängt heute auch von der Art des sexuellen Verlangens ab, und nicht etwa umgekehrt. Auf den Bedeutungszuwachs der Sexualität hat die Politik geantwortet, indem sie dem Geschlechtlichen ein immer dichteres Netz von Maßnahmen und Regeln übergeworfen hat, beispielsweise in den Schulen, Medien und Gerichtssälen. Im sogenannten Dritten Reich war dieser Zusammenhang erstmals vollständig ausgebildet; seine Rechtsnachfolger haben davon nicht mehr abgelassen.