Seit den gründlichen Untersuchungen der "Wilden Kinder" - ich nenne nur Victor von Aveyron und Kaspar Hauser - wissen wir, daß die Sexualität nicht aus einer Naturanlage entsteht, vielmehr ist Sexualität wie die Sprache ein Kulturprodukt und also ein Ergebnis von Lernprozessen. Die Kinder stummer Eltern bleiben stumm, wenn keine anderen Bezugspersonen hinzukommen, sie ansprechen, mit ihnen reden, sie in Dialoge, in sprachliche Kommunikation verwickeln. Ebenso müssen Kinder sexuell gereizt werden, muß ihnen sexuelle Kommunikation ermöglicht werden, damit bei ihnen die Sexualität entstehen und sich entwickeln kann. Seit den gründlichen Untersuchungen von Rene Spitz wissen wir, daß die Mindestvoraussetzungen für die "Sexualisation" intensive, warme Körperkontakte, Streicheln, Kuscheln und eine ausgiebige Reinlichkeitsprozedur sind.
Kinder sind bereits früh zu sexuellen Äußerungen fähig. Schon im Mutterleib sind bei Jungen Erektionen beobachtet worden. Jungen haben, wenn sie geboren werden, oft einen erigierten Penis. Als ich vor dreißig Jahren in Dörfern Siziliens das Erziehungsverhalten der Mütter studierte, stellte ich fest, daß sie während des Säugens das Glied ihres Bambinos kitzelten. Alt ich nach dem Grund fragte, waren sie erstaunt, daß ich so etwas Blödes fragen konnte - dann meinten sie, ob ich keine Augen hätte, es sei doch wohl nicht zu übersehen, daß Jungen viel gieriger saugen, wenn ihr Penis zärtlich behandelt wird. Das gierige Saugen mochten die Frauen, denn es verschaffte ihnen orgastische Empfindungen.
Wie Rene Spitz herausgefunden hat, beginnen Säuglinge etwa um die Mitte des ersten Lebensjahres mit Körperspielen, die er "genitale Spiele" nannte, weil aus ihnen regelrechte Onanie entsteht, sobald die Kinder die dazu notwendigen ausdauernden, koordinierten und gezielten Bewegungen beherrschen. Diese kindliche Masturbation ist ein zuverlässiges Kriterium für die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung. []
Kinder sind zum Orgasmus fähig; Jungen bis zur Pubertät sind sogar zum multiplen Orgasmus fähig, also wie Mädchen und Frauen zu wiederholten Orgasmen ohne Ruhepause. Die Vorstellung, Kinder seien unsexuell, reine und unschuldige Engel ist eine Erfindung des 17. und 18. Jahrhunderts.
Mit der Pubertät geraten Junge unter einen starken Triebdruck. Nicht zu onanieren gilt heute - bei Jungen zumindest - als ein Symptom für schwere Störungen. Bei Jungen, die noch im Pubertätsalter regelmäßig nachts einnässen, kann man eigentlich immer davon ausgehen, daß die Sexualfunktion gestört, behindert ist, vielleicht noch gar nicht eingesetzt hat. [] Ich habe in meiner Praxis drei Jungen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren kennengelernt, die völlig asexuell waren trotz intakter Genitalfunktionen; sie waren in einem absolut unsexuellen Milieu, ohne jegliche Sexualreize, aufgewachsen (z.B. pflegte eine der Mütter beim Baden und Säubern ihres Kindes Latexhandschuhe überzustreifen, weil sie Hautreizungen vermeiden wollte). Alle drei waren schwer gestörte Menschen. []
Der familienfremde echte Päderast (unter "echt" verstehe ich hier einen Mann, der seine sexuelle Festgelegtheit kennt, akzeptiert und lebt) braucht im allgemeinen keine Gewalt, auch nicht im Sinne der strukturellen Gewalt, anzuwenden, um zu männlichen Jugendlichen sexuelle Kontakte herzustellen und aufrechtzuerhalten. Es bedarf der Gewalt und des Zwanges nicht. Viele Jungen - niemand weiß, wie viele - machen eine - wie ich das nenne - "homosexuelle Durchgangsphase" durch und sind über mehr oder weniger längere Zeiten an mehr oder weniger älteren Geschlechtsgleichen interessiert, und es gibt zahlreiche andere Jungen, die ich als "Probierer" bezeichnen möchte. Sie probieren aus, wie es ist, wenn sie auf die sexuellen Angebote eines älteren Geschlechtsgleichen eingehen.
Von Mißbrauch kann hier nur in wenigen Ausnahmefällen die Rede sein. Bei päderastischen Anfängern kommt es vor, daß sie einen Jungen durch Geschenke verwöhnen oder daß sie eine Notlage des Jungen ausnutzen. Das ist nicht gut, aber Persönlichkeitsschäden müssen dadurch nicht entstehen. Ich habe im Gegenteil in der überwiegenden Mehrheit die Erfahrung gemacht, daß sich päderastische Verhältnisse sehr positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Jungen auswirken können, vor allem dann, wenn der Päderast ein regelrechter Mentor des Jungen ist.
Ich bleibe beim familienfremden Täterkreis und muß mich jetzt mit den Pädophilen beschäftigen. Hier fällt vielerlei auf:
Aus diesen vier Punkten folgt, daß Gewalttaten den echten Pädophilen fremd sind. In den weitaus meisten Fällen ist nur strukturelle Gewalt im Spiel, und Schädigungen entstehen allenfalls sekundär: weil das Kind sein Verhältnis zu dem Mann verbergen muß, weil es anderen Kindern entfremdet wird, weil, wenn das Verhältnis entdeckt wird, die Eltern, die Vernehmungsbeamten, Gutachter und Richter in einer Weise reagieren, die das Kind schädigen.
Die Pädophilie ist im allgemeinen eine so differenziert ausgeformte Perversion, daß das Kind zumindest bei Pädophilen, die erfahren sind und ihre Neigung zu Kindern intergriert haben, also bejahen und nicht ablehnen, vor Schäden bewahrt sind. Pädophile sind im allgemeinen nicht, indem sie sich mit Kindern sexuell befriedigen, Schädiger oder gar Schänder. Ebenso wie Sadisten, die ihren Sadismus bejahen und bewußt ausleben, hochsensibel gegen Aggressionen, gegen Gewalt und Zwang sind, so sind echte Pädophile hochsensibel gegen Schädigungen von Kindern.