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Geisler

Das sexuell mißbrauchte Kind. Beitrag zur Sexualentwicklung, ihrer Gefährdung und zu forensischen Fragen

Beiheft zur Praxis der Kinderpsychol. und -psychiatrie (1959)

nach Baurmann 1983, S. 176-177

In den 50er Jahren kamen Geisler und Gerchow in Deutschland dann wieder zu sehr widersprüchlichen Ergebnissen bezüglich der Schäden bei kindlichen Opfern von angezeigten und verurteilten Sexualkontakten. Geisler machte ihre Aussagen aufgrund von Beobachtungen von 87 weiblichen und 13 männlichen Personen, die als Sexualopfer bekannt geworden waren und wegen Auffälligkeiten bzw. zur Begutachtung in eine Klinik eingeliefert worden waren. Es ist eigentlich nicht erstaunlich, daß diese in dieser Weise selektierte Opfergruppe bei der untersuchung Schäden aufweist, wurden die meisten von ihnen doch wegen Störungen ins Krankenhaus eingewiesen. Und so kommt Geisler in ihrem Kapitel "Psychische Schäden durch sexuelle Widerfahrnisse" (S. 74 ff) zu folgendem Ergebnis: Sie glaubt, daß nur wenige Kinder strafbare Sexualkontakte ohne Schaden überstehen. (S. 79) "...So wird verständlich, weshalb die vom Ästhetischen und den moralischen Idealforderungen abweichenden sexuellen Handlungen an Kindern für diese so besonders unangemessen und daher schwer insultierend sind." (S. 82) Bei den vielen Fallbeschreibungen wird freilich deutlich, daß die Kausalität von beobachteten, vermuteten und interpretierten Schäden im Unklaren bleibt.

Geisler beschrieb beispielsweise bei einer 10jährigen Sonderschülerin folgende Traumen als Folge eines exhibitionistischen Kontakts: "Eine 10jährige Hilfsschülerin war nach dem Anblick eines Exhibitionisten sexuell interessiert, warf wache Blicke auf Männer und bot sich ihnen in aufreizender Stellung an Absperrgerüsten turnend dar. Sie war dann auch bereit, mit Männern 'mitzukommen' und erwartete kleine Geldgeschenke dafür. Im Einverständnis mit der Mutter wurde sie außerhlab der Großstadt erzogen, um neue Versuchungssituationen dieser Art zu vermeiden. (S. 78)

Bei diesem von Geisler leider nur ausschnittweise beschriebenen Fall kann nicht beurteilt werden, ob das beschriebene, für die Autorin auffällige Verhalten schon vorher vorhanden war, durch den angezeigten Sexualkontakt entstand oder als Folge der Strafverfolgung zu sehen ist. Auch die sozialpädagogischen Konsequenzen sind recht fragwürdig.

Insbesondere im Bereich der Inzest und des sexuellen Mißbrauchs von Abhängigen geht Geisler kaum auf die ganz wesentlichen Überlegungen von Gerchow ein.

Ernest Borneman, Ullstein Enzyklopaedie der Sexualitaet, unter dem Eintrag "Paedophilie" S. 585f., Frankfurt/M., Berlin 1990

Geisler erwähnt das erste sexuelle Erlebnis eines neunjaehrigen Maedchens, bei dem vielleicht noch Zweifel bestanden, ob die Initiative von dem Kind oder dem Erwachsenen ausging. Nach diesem Erlebnis jedoch "fanden in wenigen Wochen zwei weitere Vorkommnisse dieser Art mit anderen Taetern statt und wurden offensichtlich von dem Kind gesucht". Ein anderes Maedchen, eine Zehnjaehrige, "war nach den Anblick eines Exhibitionisten sexuell interessiert, warf wache Blicke auf Maenner und bot sich ihnen in aufreizender Stellung an Absperrgerüsten turnend dar. Sie war dann auch bereit, mit Maennern 'mitzukommen', und erwartete kleine Geschenke dafür." Ein drittes Maedchen, 13 Jahre alt, wurde unter Aufsicht des Jugendamtes gestellt, nachdem es einen aelteren Mann "zur Demonstration der maennlichen Sexualvorgaenge veranlasst hatte". Geisler berichtet auch ueber eine Gruppe von 35 Maedchen zwischen zehn und elf Jahren: "Zwei von ihnen suchten oft die Naehe eines 80jährigen Nachbarn, liessen ihm Liebesbriefe und kleine Geschenke zukommen. Spaeter brachten sie den alten Mann dazu, sich von ihnen betasten zu lassen. Sie liessen sich gegen kleine Geldbetraege entbloesst betrachten und steigerten allmaehlich das dafuer ausgesetzte Geld" (Das sexuell missbrauchte Kind, S. 78, 79, 31).