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Diskussion der ethnographischen Resultate


Gisela Bleibtreu-Ehrenberg 1986

Übrigends ist das in unseren abendländisch-christlichen Kulturbereich endemische leibfeindliche Vorurteil absolut ethnozentrisch bedingt: andere Völker, Rassen, Stämme haben es nicht oder nicht in demselben Grade. Denn ein "natürliches" Verhalten hinsichtlich des Geschlechtslebens gibt es nicht, weil menschliches Verhalten auf allen Lebensbereichen nicht mehr (wie beim Tier) instinktgesteuert, sondern lernabhängig entwickelt wird, und die unterschiedlichen Regionen der Erde mit ihren verschiedenen Klimaten, Möglichkeiten der Daseinsbewältigung und darum differen ausgestalteten Kulturen ohne die Fähigkeit des Menschen, sich "angepaßt" zu verhalten (Instinkte können sich nicht anpassen, sie sind unveränderlich und funktionieren "blind"), nie hätten gemeistert werden können.

Übrigends läßt sich leicht nachweisen: In dem großen "Freilichtmuseum" historischer Erinnerung, das für uns weiße Abendländer die Naturvölker und außereuropäischen Hochkulturen konserviert, ist Raum genug für die Beobachtung, daß "menschenmögliches " Verhalten sehr anders aussehen kann, als unsere Kultur das vorschreibt und unser aller Erziehung als "natürlich " erscheinen läßt.[*] Allerdings helfen sich manche, die am Hergebrachten hängen, gern damit, solche Beziehungen zu verwerfen, da es sich dabei ja bloß um Wilde oder Heiden oder beides handle ... Im Rahmen einer jüdischen oder christlichen Staatsverfassung würde man eine derartige Einstellung sogar gelten lassen müssen. Für ein nicht-theokratisches Staatswesen geht das aber nicht an: Zu deutlich ist die Herkunft leibfeindlicher Vorurteile jedweder Form aus dem spätantik-christlichen Vorstellungsbereich.

[aus: Vorwort zu Sandfort 1986]